Dienstag, 6. April 2010

Gemeinsam durch die gläserne Decke

Von Uta Jungmann für die FAZ
11. März 2010

Wie weit Studenten mit ihrem Abschluss kommen, hängt nicht nur von den Noten ab. Für die berufliche Zukunft zählt auch das Beziehungsgeflecht, das sie aufgebaut haben - an der Hochschule, in Stiftungen, bei Praktika und im Freundeskreis. Wer männlich ist, Riten und Bräuche schätzt, sucht sich seine Kontakte womöglich in einer Studentenverbindung. Mal als Seilschaften geschmäht, mal als Netzwerke gelobt, gelten die akademischen Bünde bis heute als Karrieremacher. Doch längst sind sie nicht mehr reine Männersache: Seit 20 Jahren wächst die Zahl der Damenverbindungen stetig an.

Wie männliche Korporationen setzen die rund 40 weiblichen Verbindungen in Deutschland auf das Lebensbund-Prinzip und die sozialen Brücken zwischen ihren Mitgliedern. „Wir tauschen Erfahrungen über Altersgrenzen hinweg aus, wenn wir uns mit unseren Hohen Damen treffen, den ehemaligen Aktiven“, berichtet Lina Collet, die in Münster Betriebswirtschaft studiert und der Verbindung Helenia Monasteria angehört. „Darauf beruht, was sich heute Mentoring nennt“, urteilt der Historiker Harald Lönnecker, der im Bundesarchiv Koblenz zur Studentengeschichte forscht. „Seit Frauen um 1900 an den Hochschulen zugelassen worden sind, haben sie sich vernetzt, bald die Älteren in den Bünden als Vorreiterinnen gesehen und sich Tipps von ihnen geholt, akademisch, beruflich und privat.“
Neu in Münster, gefiel auch Lina Collet die Idee, in der Helenia mit Frauen aus verschiedenen Fächern zu lernen und zu feiern. „Und die studentische Tradition zu pflegen, wenn wir Farben tragen oder das Münsterlied bei unserer Kneipe singen“, ergänzt sie. Zudem schweißen gemeinsam organisierte Feste, Vorträge und Stammtische zusammen, auch mit den Hohen Damen.
Aber mächtige Netzwerke wie unter den Männern sind daraus bisher kaum gewachsen - vor allem deshalb, weil Damenkorporationen meist die Einbindung in einen großen Dachverband fehlt. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Unitas Clara-Schumann Bonn, die beim Verband der wissenschaftlichen katholischen Studentenvereine angesiedelt ist. Doch mehr als eine Info-Börse für Praktika oder Jobs soll es auch dort nicht geben, schon gar keine Vetternwirtschaft. Im Vordergrund steht offiziell stattdessen, Freundinnen fürs Leben zu finden, die Werte und Überzeugungen teilen. Freilich kann selbst unter Bundesschwestern nicht jede mit jeder gleich gut. „Man lernt, mit verschiedenen Charakteren klarzukommen“, bemerkt die Germanistikstudentin Julia Brinker. „Eigene Ideen durchzubringen, ohne die der anderen außer Acht zu lassen - und probt das nicht erst später im Büro.“ Für die junge Frau, die später eine PR-Agentur leiten will, lohnt sich der Zeitaufwand fürs Verbindungsleben nicht nur deshalb. „Es ist auch pudelwitzig, dabei zu sein“, sagt sie. „Wir haben einen Teamgeist entwickelt, mit dem wir durch alle Höhen und Tiefen gehen. In der Verbindung, im Studium und darüber hinaus.“
Nicht nur auf soziale Bande, mehr noch auf soziales Training legen indes weibliche Karriere-Zirkel für Fortgeschrittene wert. „Männer sind nicht böse und halten Frauen auch nicht vom Aufstieg ab“ - davon ist jedenfalls Sibylle Gruner überzeugt, die als Betriebsleiterin in einem Chemiekonzern arbeitet und Vorstand im Netzwerk European Women's Management Development (EWMD) ist. „In manchen Branchen sind Männer nur stärker vertreten und prägen das Umfeld. Kommt da eine Frau hinein, sollte sie wissen, was sie tun muss, um darin zu überleben und wahrgenommen zu werden.“ Doch Frauen halten sich nach ihrer Erfahrung eher zurück, wollen mehr durch Leistung als durch Eigenmarketing glänzen. „Viele drängen sich nicht vor, wenn es um die Präsentation ihrer Ergebnisse geht“, sagt Gruner. „Sie prüfen auch kritischer, ob sie eine höhere Position ausfüllen können.“
Frauen fehlt oft das Zutrauen

Solche Hemmungen könnten mehr als vermeintliche verschwörerische Männerbünde dafür sorgen, dass Frauen in der Wirtschaft nur selten an die Spitze kommen. Dafür spricht zum Beispiel eine Umfrage des EWMD unter den wenigen weiblichen Aufsichtsräten und Vorständen: Deren Ansicht nach fehlen anderen Frauen nicht die Fähigkeiten für die Top-Jobs, sondern oft das Zutrauen in sie - und der Glaube an den eigenen Erfolg. „Um diese gläserne Decke im Kopf zu durchstoßen, hilft es ungemein, Vorbilder um sich zu haben“, unterstreicht Gruner. „Sie bestärken einen beim Karrieresprung und sagen: Du machst einen super Job - trau dich und spring!“

In 40 europäischen Städten arbeitet das Netzwerk daran, Frauen ins Top-Management zu befördern. Unternehmen nutzen den Zirkel mit seinen 800 Mitgliedern wiederum auf der Suche nach geeigneten Führungskräften. Damit die Weichen früh richtig gestellt werden, gibt es zudem ein EWMD-Mentoring für den Nachwuchs. Virginia Madukanya hat es genutzt, als sie beim Abschluss ihrer Promotion darüber nachdachte, wie es weitergehen soll - ob an der Uni, wie bisher in einer Personalberatung oder in einem anderen Unternehmen. Am Ende hat sich die Wirtschaftspsychologin für den Wechsel ins Talent-Management eines Lebensmittelkonzerns entschieden. „Meine Mentorin hat die richtigen Fragen gestellt, zum Beispiel, was eine Stelle für meine Ziele bietet“, lobt sie.
„Männer sind von klein auf gewohnt, um ihren Platz zu rangeln“

Rückhalt und Austausch im weiblichen Netz helfen auch gegen Entmutigungen kurz nach dem Berufseinstieg. „An der Hochschule zählen in erster Linie Leistung und Noten, um weiterzukommen“, sagt Angelika Wagner, die Leiterin des Expertinnen-Beratungsnetzes an der Universität Hamburg. In der Wirtschaftswelt ändern sich die Spielregeln. „Männer sind von klein auf gewohnt, um ihren Platz zu rangeln“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. „Auf viele Frauen wirkt das, als hätten sie Tennis spielen gelernt und müssten sich nun auf dem Fußballfeld beweisen.“ Hinzu kommen Missverständnisse - wie jenes, dass Frauen aufgrund ihrer guten Leistung schon bemerkt würden. „Der Vorgesetzte hört indes nicht viel von ihren Erfolgen und wirbt auch nicht für ihren Namen“, warnt Wagner. Wer aber nicht bekannt ist, wird nicht gefördert - und bleibt nach zwei, drei Jahren im Beruf stecken, der Aufstieg endet an der vielbeklagten „gläsernen Decke“.

Damit Frauen die Mikropolitik in Unternehmen verstehen lernen, hat die Universität Hamburg jetzt das Förderprogramm Unica für Studentinnen und Doktorandinnen - vorerst nur der Sozialwissenschaften - ins Leben gerufen: Ausgesucht wurden 20 Kandidatinnen, die nicht nur mit Noten glänzen, sondern in Tests vorab Teamgeist und Durchsetzungswillen bewiesen haben. Im April beginnt das Projekt, an dem sich Unternehmen wie Unilever, Philipps oder Otto beteiligen. Workshops zur beruflichen Entwicklung, auch zur inneren Gelassenheit, gehören dazu.

Zugleich sollen erfolgreiche Managerinnen vier Jahre lang den Berufsstarterinnen zur Seite stehen: Bei der Wahl des Einstiegsjobs, beim späteren Umgang mit den informellen Regeln des Unternehmens und beim Verfolgen ihrer Karriereziele. „Unsere Mentorinnen kennen die Kniffe und wissen, wie man unsichtbare Hürden nehmen kann“, formuliert Jenny Rohde die Erwartungen. Auch von ihren Mit-Mentees verspricht sich die Psychologiediplomandin Impulse für den eigenen Werdegang. „Schließlich ist die Idee menschlich, sich gegenseitig zu unterstützen.“

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